Wenn Menschen das Haus nicht mehr verlassen

Ach, wie schön wäre es, wenn ich meine Wohnung nie wieder verlassen müsste. Wenn ich nie wieder in die Schule oder die Arbeit gehen müsste. – Diesen Satz haben wohl viele von uns schon manchmal gedacht.

Während ich an meinem Roman schrieb, wurde dieser Gedanke plötzlich Wirklichkeit. Mit dem Auftreten von Corona kam der erste Lockdown. Irgendwie war das ganz schön gruselig. Auf einmal lebten wir alle wie Theo – der Maler aus meinem Roman.

Der Lockdown war fĂĽr mich anfangs sogar angenehm. Endlich keine Erledigungen, keine Arztbesuche, kein Abhetzen von Termin zu Termin … ich konnte mich voll und ganz aufs Schreiben konzentrieren. Aber dann war der Roman fertig, und je länger das Kontaktverbot andauerte, desto mehr hatte ich das GefĂĽhl, dass mir jemand mein Leben stiehlt. So viele Veranstaltungen und Verlagsfeste mussten abgesagt werden. Die Treffen meiner Schreibgruppe fanden plötzlich via Zoom statt – und die machten mir ĂĽberhaupt keinen SpaĂź. Es fehlte der Kuchen! Und das Lachen meiner Freund*innen klang aus den Lautsprechern einfach nur scheppernd und nervig.

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Was bringt Menschen dazu, ihr Haus nicht mehr zu verlassen? Was bringt Theo dazu? – Das musst du im Buch selbst herausfinden.

Hier möchte ich zwei kurze Videos mit dir teilen, in denen du erfährst, wie es den Menschen geht, die nicht mehr nach draußen gehen.
Das erste Video beschäftigt sich mit den Hikikomori – so nennt man man in Japan jene Menschen, die ihre Wohnung seit mindestens 6 Monaten nicht mehr verlassen haben und sich von ihren Mitmenschen komplett zurückziehen.
In Japan gibt es schätzungsweise 1 Million Hikikomori. Aber auch in Europa gibt es immer mehr Menschen, die sich dauerhaft in ihre Wohnungen einschlieĂźen und den ganzen Tag lang zocken, lesen oder fernsehen. Und je länger sie sich einsperren, desto schwieriger wird der Weg zurĂĽck nach drauĂźen …

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Nicht nur die Angst vor der Erwartungshaltung der anderen und dem eigenen Versagen kann Menschen dazu bringen, ihr Haus nicht mehr zu verlassen. Auch Trauer kann ein Auslöser sein. Menschen mit schweren Depressionen kommen morgens manchmal nicht mal aus dem Bett.
Und dann gibt es Menschen, die unter einer Agoraphobie leiden …

Neben den psychischen Krankheiten gibt es auch neurologische oder körperliche Krankheiten, die Menschen daran hindern, das Haus zu verlassen. Alzheimer oder Altersdemenz etwa. Oder die (zum Glück steten vorkommende) Mondscheinkrankheit (Xeroderma pigmentosum), bei der die Haut so empfindlich auf das UV-Licht reagiert, dass sich Betroffene grellem Tageslicht nicht aussetzen dürfen. Auch Multiple Sklerose, Parkinson oder ein Schlaganfall können dazu führen, dass Menschen ihr Haus nicht mehr allein verlassen dürfen.
Wichtig ist, solche Menschen nicht zu vergessen. Denn wer immer zu Hause bleibt, lernt keine neuen Menschen kennen und ist auf jene angewiesen, die auf Besuch kommen.